Küsse über den Grenzzaun
Zum ersten Mal seit dem 2. Weltkrieg, hat die Schweiz ihre Grenzen dicht gemacht. Gren- zen, welche in den letzten Jahrzehnten kaum mehr von der Bevölkerung wahrgenommen worden waren, unsichtbare Linien, welche von den Bewohnern beider Seiten völlig frei über- schritten werden konnten.
Die Pandemie liess die Behörden wieder Trenngitter hochziehen, Absperrbänder signalisie- ren die Begrenzung des Begehbaren und zeichnen die im 2. Weltkrieg mit Stacheldraht be- wehrte Grenze nach. Für uns freiheitsgewohnten Europäer sind sie eine klarer Störung des Gewohnten.
Die Zäune wurden zum Treffpunkt für jene Menschen, welche durch den Coronavirus geo- grafisch getrennt wurden. Sie drücken sich an das Gitter, um miteinander zu reden oder, wo möglich um Zärtlichkeiten auszutauschen. Die Liebe lässt sich nicht wegsperren.
Ich reise ab und zu in Krisengebiete, dokumentiere Dinge, von denen ich mir einbil- de, dass die Leute zuhause davon erfahren sollten. Nach wenigen Wochen reise ich nachhause, lasse die Krise mit dem ganzen Leid zurück, reise nachhause zu meinen Freunden, den vollen Tellern und der wohligen Wärme.
Das ist jetzt die neue Welt
Jetzt ist sie zu uns gekommen, die Krise. Und ich kann nicht davonlaufen. Wohin auch?
So nehme ich die Kamera und gehe raus in diese neue Welt, gelähmt von einem winzigen Virus.
Basel, meine Stadt, ist heruntergefahren. Die Stadt hat den Tritt verloren, kurioser- weise ist sie durch die verordnete Langeweile interessanter als sonst. Sechs Uhr abends fühlen sich an wie drei Uhr morgens, die stillgelegte Infrastruktur harrt der Dinge, die da kommen.